In einer zunehmend digitalen und mobilen Arbeitswelt verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer mehr. Dienstliche E-Mails am Wochenende oder Anrufe im Urlaub sind längst keine Seltenheit mehr. Pünktlich zur Urlaubszeit stellen wir uns daher eine zentrale Frage: Gibt esein Recht auf „Nichterreichbarkeit“? Wir geben Antworten:
In Österreich existiert bislang kein ausdrückliches gesetzliches Recht, außerhalb der regulären Arbeitszeit nicht erreichbar sein zu müssen („Recht auf Nichterreichbarkeit“). Anders sieht es hingegen in einer Reihe anderer europäischer Staaten aus: Länder wie Frankreich, Belgien, Spanien, Italien oder Slowenien haben in den vergangenen Jahren – teils in unterschiedlicher Ausprägung – gesetzliche Maßnahmen zur Begrenzung der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit eingeführt.
In Frankreich wurde etwa bereits 2017 das „Droit à la déconnexion“ gesetzlich verankert; ein Gesetz, das Arbeitgeber:innen verpflichtet, Regelungen zur Nichterreichbarkeit ihrer Mitarbeiter:innen zu schaffen, sofern es im Unternehmen noch keine solchen Vereinbarungen gibt.
Auch das Europäische Parlament hat in einem Entschließungsantrag mit Empfehlungen an die Kommission ein „Right to Disconnect“gefordert. Diese sehen vor, dass Arbeitnehmer:innen außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht verpflichtet sind, dienstliche Anrufe zu tätigen, E-Mails zu beantworten oder auf andere digitale Kommunikationsformen zu reagieren.
Auch wenn es in Österreich (derzeit) kein ausdrückliches „Recht auf Nichterreichbarkeit“ gibt, lassen sich Grundsätze bereits aus dem bestehenden Arbeitszeitrecht ableiten. Das österreichische Arbeitszeitgesetz basiert nämlich auf der klaren Trennung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit.
Als Arbeitszeit gilt „die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen“. Dabei geht es um jene Zeit, in welcher Arbeitnehmer:innen den Arbeitgeber:innen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen.
Ruhezeit beschreibt hingegen „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“. Es handelt sich daher um Zeiten, in denen Arbeitnehmer:innen weder arbeiten noch für die Arbeitgeber:innen zur Verfügung stehen müssen.
Dazwischen liegt ua die Rufbereitschaft, in der Arbeitnehmer:innen für Arbeitgeber:innen erreichbar und zum Arbeitsantritt bereit sein müssen und über ihren Aufenthaltsort und die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden können (die Erreichbarkeit wird etwa über Telefon, Pager oder Messengerdienste sichergestellt).
Die Frage, wann Erreichbarkeit zur Rufbereitschaft wird, ist rechtlich nicht eindeutig geklärt – und sorgt auch in der Literatur für (spannende)Diskussionen. Besonders im Fokus steht dabei die Erreichbarkeit via Smartphone außerhalb der regulären Arbeitszeit.
Ein Teil der Lehre argumentiert in diesem Zusammenhang, dass kurzfristige oder punktuelle Kontaktaufnahmen – etwa durch einen Anruf oder eine einzelne E-Mail – nicht jene Intensität erreichen, die der Gesetzgeber ursprünglich mit dem Begriff „Rufbereitschaft“ verbinden wollte. Solche vereinzelten Eingriffe in die Freizeit seien – aus Arbeitnehmerperspektive – uU zwar lästig, würden aber die private Freizeitgestaltung nur in geringfügigem Maße beeinträchtigen – und seien daher nicht mit einer klassischen Rufbereitschaft vergleichbar.
Auf der anderen Seite wird vertreten, dass bereits die permanente Erwartung der Erreichbarkeit – auch ohne regelmäßige Einsätze – eine relevante Einschränkung darstellt und den Charakter einer Rufbereitschaft annehmen kann. Entscheidend sei nicht die tatsächliche Inanspruchnahme, sondern die Notwendigkeit, jederzeit reagieren zu können. Gestützt wird diese Ansicht durch das weitere Argument, dass dem Arbeitszeitgesetz (AZG)Mindesteinsatzzeiten fremd seien.
Nicht jede Form von Erreichbarkeit (per Smartphone) erfüllt also automatisch die Voraussetzungen der Rufbereitschaft. Maßgeblich sind vielmehr:
Punktuelle Erreichbarkeit in geringem Ausmaß sollte uE nicht automatisch unter die strengen Voraussetzungen der Rufbereitschaft fallen. Vielmehr bedarf es stets einer Einzelfallprüfung, Art der Tätigkeit, Umfang der Erreichbarkeit und ihre tatsächliche Belastung genau zu analysieren sind.
Wird in der Praxis dennoch eine ständige Erreichbarkeit verlangt, die mit tatsächlicher Leistungserbringung einhergeht – also über bloße Kontaktaufnahmen hinausgeht –, ist uE im Zweifel von Rufbereitschaft auszugehen.
Liegt hingegen bloße Erreichbarkeit vor, sprechen diebesseren Argumente uE für die erste Ansicht, wonach noch nicht von Rufbereitschaft oder gar Arbeitszeit auszugehen ist, wenn tatsächlich keine inhaltlichen Arbeitsleistungen erbracht werden.
Urlaub ist mehr als bloß arbeitsfreie Zeit – der Urlaubsanspruch ist als Doppelanspruch ausgestaltet und besteht aus einem Freistellungsanspruch und dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Er dient sowohl der Erholung als auch der Wiederherstellung der Arbeitskraft.
Im Mittelpunkt steht der Erholungszweck: Der Urlaub sollkörperlicher und geistiger Regeneration, der Persönlichkeitsentfaltung sowie der Lebensbereicherung dienen.
Rufbereitschaft während des Urlaubs? Ein klarer Widerspruch!
Rufbereitschaft gilt arbeitszeitrechtlich zwar grundsätzlich als Freizeit – solange kein tatsächlicher Arbeitseinsatz erfolgt. Doch im Kontext des Urlaubs gelten im Vergleich zur gewöhnlichen Ruhezeit strengere Maßstäbe:
Die Vereinbarung von Rufbereitschaft während des Urlaubs widerspricht dem Erholungszweck und ist daher arbeitsrechtlich unzulässig.
Arbeitnehmer:innen sind während ihres Urlaubs grundsätzlich auch nicht verpflichtet, dienstliche Anrufe entgegenzunehmen oder E-Mails zu beantworten.
Arbeitgeber:innen, die das anders handhaben, riskieren Konflikte und rechtliche Auseinandersetzungen – insbesondere dann, wenn der Erholungszweck durch (regelmäßige) Kontaktaufnahmen unterlaufen wird.
Ein gesetzlich verankertes „Recht auf Nichterreichbarkeit“ existiert in Österreich derzeit nicht. Dennoch lassen sich aus den arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen – insbesondere aus der strikten Trennung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit –Grenzen für die dienstliche Erreichbarkeit ableiten.
Entscheidend ist: Ohne entsprechende Vereinbarung besteht grundsätzlich keine generelle Verpflichtung zur Erreichbarkeit außerhalb der regulären Arbeitszeit. Im Urlaub sollten Kontaktaufnahmen, um Streitigkeiten hinsichtlich des Erholungszwecks hintanzuhalten, tunlichst vermieden werden.
Mangels (eindeutiger) gesetzlicher Regelung empfiehlt es sich, klare Regelungen / Vereinbarungen zur Erreichbarkeit zu treffen. Dabei sollte insbesondere definiert werden, ob und in welchen Zeiträumen Erreichbarkeit erwartet wird – und ob diese Zeiten mit einer tatsächlichen Leistungserbringung verbunden sein sollen.
Haben Sie Fragen zur Erreichbarkeit im Arbeitsverhältnis? Wir beraten Sie praxisnah und vertraulich.
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