Wie regelmäßige Leser:innen wissen, zählt die Entlassung zu den schärfsten Sanktionen im österreichischen Arbeitsrecht. Sie beendet das Arbeitsverhältnis sofort und fristlos – und ist nur dann zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem/der Arbeitgeber:in unzumutbar macht, das Dienstverhältnis fortzusetzen. Doch was gilt, wenn der wichtige Grund nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist? In diesem Blogbeitrag werfen wir einen Blick hinter die Kulissen und berichten von einem Fall aus unserer Praxis – einer Entlassung aus gleichwertigem wichtigem Grund, der letztlich auch das OLG Wien beschäftigte.
Nach § 27 Angestelltengesetz kann der/die Arbeitgeber:in das Dienstverhältnis vorzeitig (und ohne Einhaltung von Fristen) beenden, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. § 27 AngG sieht hierzu in den Ziffern 1 bis 5 einen Katalog an wichtigen Gründen vor, die zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigen – etwa Vertrauensunwürdigkeit oder strafbare Handlungen.
Wichtig ist dabei: Wenngleich sich in der Praxis Sachverhalte typischerweise unter eine dieser Ziffern subsumieren lassen, besitzen die in § 27 AngG aufgelisteten Entlassungsgründe bloß demonstrativen (dh nicht abschließenden) Charakter; dies ergibt sich aus dem in Einleitungssatz verwendeten Begriff „insbesondere“.
Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass über die in § 27 AngG angeführten Tatbestände hinaus auch weitere Gründe existieren können, die in vergleichbarer Weise so schwer wiegen, dass dem/der Arbeitgeber:in im Einzelfall die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht länger zugemutet werden kann.
Genau ein solcher Fall lag einem aktuellen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Wien (OLG Wien, 7 Ra 50/25m) zugrunde – in dem wir unsere Mandantin, die entlassende Arbeitgeberin, erfolgreich vertreten durften.
Im von Nina Niederstrasser und Christoph Muhr erfolgreich geführten Verfahren (OLG Wien, 7 Ra 50/25m) begehrte der Arbeitnehmer die Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses. Er brachte zusammengefasst vor, dass seine Entlassung nicht berechtigt war.
Der Arbeitnehmer war seit Juli 2021 als Koordinator beschäftigt und in dieser Funktion ua für die Betreuung Minderjähriger und anderer besonders schutzbedürftiger Personengruppen zuständig. Zudem nahm er Repräsentationsaufgaben wahr.
Erst nach Einstellung wurde unserer Mandantin bekannt, dass der Mitarbeiter wegen schwerer strafrechtlicher Handlungen verurteilt worden war, unter anderem wegen
Das Strafausmaß? 3,5 Jahre Freiheitsstrafe.
Im Bewerbungsverfahren kam das Strafverfahren nicht zur Sprache, weil die Arbeitgeber:in einen aktuellen Strafregisterauszug verlangte, der mangels – zu diesem Zeitpunkt – rechtskräftiger Verurteilung die strafrechtliche Unbescholtenheit des Arbeitnehmers attestierte.
Das Erstgericht stellte ausdrücklich fest, hätte unsere Mandantin von den strafbaren Handlungen gewusst, hätte sie den später klagenden Arbeitnehmer erst gar nicht eingestellt.
Sowohl das Erstgericht als auch das OLG Wien als Berufungsgericht gelangten zu dem Ergebnis, dass die Entlassung unmittelbar nach dem Bekanntwerden der strafbaren Handlungen im gegenständlichen Fall gerechtfertigt war – das, obwohl die Straftaten zu diesem Zeitpunkt bereits beinahe 10 Jahre zurücklagen.
Generell gilt, dass frühere strafbare Handlungen in der Regel keinen der in § 27 AngG aufgezählten gleichwertigen Grund darstellen – auch dann nicht, wenn sie dem/der Arbeitgeber:in erst während des Dienstverhältnisses bekannt werden.
Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich außerdem nicht verpflichtet, solche Vorstrafen bei Begründung des Dienstverhältnisses von sich aus bekannt zu geben. Vorstrafen wegen früher begangener strafbarer Handlungen machen idR somit nicht vertrauensunwürdig.
Die Ausnahme bestätigt aber auch hier wiederum die Regel: Das OLG Wien beurteilte die Entlassung dennoch als gerechtfertigt. Es stellte klar, dass bei Kenntnis der strafbaren Handlungen keine Einstellung erfolgt wäre und zwischen den massiven strafrechtswidrigen Handlungen des Klägers als Pfleger bei seinem vorherigen Arbeitgeber und seiner beruflichen Tätigkeit bei unserer Mandantin ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestand:
Der Kläger betreute vulnerable Personen und nahm repräsentative Aufgaben wahr –Verantwortungsebenen, die durch seine Vorverurteilung fundamental berührt werden.
Es lag nach Ansicht des OLG Wien daher „auf der Hand“, dass die Tatsache der schwerwiegenden Verurteilung des Klägers geeignet war, die Vertrauensbasis zwischen der Arbeitgeberin und dem Arbeitnehmer zu zerstören und zu einer nachhaltigen Vertrauensverwirkung zu führen – dies, obwohl sich das strafbare Verhalten Jahre vor Dienstantritt ereignet hatte.
Das Urteil zeigt, wie sensibel die Gerichte bei Vorstrafen abwägen – und dass die Umstände des Einzelfalls letztlich entscheidend bleiben.
Das OLG Wien führte weiter aus, dass zwar nicht der Entlassungstatbestand nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG („Vertrauensunwürdigkeit“) erfüllt sei, aber dennoch ein gleichwertiger wichtiger Grund vorliege (iSd § 27 AngG), der die Arbeitgeberin zur Auflösung berechtigte.
Die Verurteilung und die Art der Tätigkeit samt der Feststellung, dass bei Kenntnis der Handlungen keine Einstellung erfolgt wäre, begründeten eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses.
Dieser Fall zeigt wieder einmal, dass es gerade im Entlassungsrecht häufig auch um Nuancen geht, die letztlich darüber entscheiden (können), ob eine Entlassung im Einzelfall gerechtfertigt ist, oder eben nicht. Außerdem: Auch wenn der Sachverhalt sich unter keine der in § 27 AngG genannten Ziffern subsumieren lässt, kann die Entlassung bei entsprechender Schwere des Grundes dennoch gerechtfertigt sein.
Eine rechtssichere Entlassung erfordert nicht nur rasches Handeln, sondern auch eine gründliche Aufarbeitung des Sachverhalts. Gerade in sensiblen Fällen – etwa wenn Vorstrafen erst nachträglich bekannt werden – lohnt sich eine gründliche Prüfung des wichtigen Grundes. Erfahrungsgemäß entscheidet genau diese Vorbereitung darüber, ob eine Entlassung hält oder scheitert.
Unser Team unterstützt Sie gerne bei der rechtssicheren Beendigung von Dienstverhältnissen oder in einem allfälligen Verfahren.
Noch mehr Einblicke und arbeitsrechtliche Praxistipps finden Sie in unserem Podcast „Legal Leading – Der Arbeitsrecht Guide“. Reinhören lohnt sich.
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