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Whistleblowing-Richtlinie: Umsetzung und Arbeitsrechtliche Implikationen
Mag Christoph Muhr
May 24, 2022
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Der Begriff "Whistleblowing" hat seinen Ursprung in der Redewendung "to blow the whistle", was sinngemäß mit "jemanden verpfeifen" übersetzt werden kann. Als Whistleblowing wird das Aufdecken von Missständen durch Personen bezeichnet, die im Rahmen ihrer Arbeit, als auch im Zuge der Zusammenarbeit mit Unternehmen oder Organisationen, mit Verstößen in Berührung kommen.

Differenziert wird dabei zwischen internem Whistleblowing (zB Informationsweitergabe an Vorgesetzte, Kollegen, Geschäftsleitung) und externem Whistleblowing(Informationsweitergabe an Aufsichts-, Strafverfolgungsbehörden, Medien oder andere Stellen). Die Personen setzen sich damit oftmals einem hohen Risiko aus, aufgrund der Meldung Nachteile (bspw in Form einer Kündigung) zu erfahren, weshalb die Schutzbedürftigkeit von Whistleblowern äußerst nötig ist.

Im österreichischen Recht gab es bisher nur sehr fragmentierte Regelungen zum Umgang mit Whistleblowing (etwa§ 99g BWG für Kreditinstitute oder §§ 53, 53a BDG im Beamtendienstrecht). Der OGH hielt jedoch fest, dass den Arbeitnehmer bei strafrechtswidrigen Umtrieben des Arbeitgebers, idR keine Verschwiegenheitspflicht trifft sowie auch, dass unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidrige Verhaltensweisen nicht zu den Umständen zählen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein objektivberechtigtes Interesse hat.

Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden seiner Ansicht nach den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Entscheidend ist die subjektive Vorstellung des AN bei Erstattung der Anzeige. Das Angezeigte muss wahr sein oder vom AN für wahr gehalten werden, wobei nach dem OGH die subjektive Vorstellung des AN bei Erstattung der Anzeige maßgeblich ist. Wird das Verfahren gegen den AG in der Folge eingestellt, ist dies unerheblich, wenn der AN gutgläubig war. Die nationale Rechtsprechung orientierte sich auch an den Vorgaben des EGMR.

Vor diesem Hintergrund ist auch das Urteil Heinisch gegen Deutschland relevant:

Die AN, die im öffentlichen Dienst tätig war und dort mehrfach intern auf Missstände hinwies und letztlich Anzeige wegen schweren Betrugs gegen ihren Arbeitgeber erstattete, wurde daraufhin fristlos gekündigt. Das Bundesarbeitsgerichtstimmte der Kündigung zunächst zu; der EGMR erklärte diese Entscheidung jedoch für unwirksam.

Unstrittig war, dass die Strafanzeige Whistleblowing darstellt, das in den Anwendungsbereich von Art 10EMRK (Meinungsfreiheit) fällt. Der EGMR stellte fest, dass eine Strafanzeigegegen den AG eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, sofern sie eine erhebliche Verletzung der Loyalitätspflicht darstellt. Allerdings wies der EGMR auch darauf hin, dass von AN getätigte Meldungen über illegales Verhalten bzw Missbräuche am Arbeitsplatz unter gewissen Umständen Schutz genießen sollen.

Bei wahrgenommenen Missständen sollte zunächst dem Vorgesetzten oder einer anderen kompetenten Stelle Berichterstattet werden. Nur in Fällen, in denen eine solche Vorgangsweiseimpraktikabel erscheint, dürfen Informationen – als letzter Ausweg – an die Öffentlichkeit weitergegeben werden.

Ferner ist nach Ansicht des EGMR auch relevant, ob dem Arbeitnehmer andere effektive Mittel zur Abstellung der Missstände zur Verfügung stehen. Der Arbeitnehmer sollte in gutem Glauben sowie in der Überzeugung handeln, die übermittelten Informationen seien wahr. Ferner muss eine Offenlegung im öffentlichen Interesse sein und darf dem Arbeitnehmer kein anderes – diskreteres – Mittel zur Verfügung stehen, um die Missstände abzustellen. Der EGMR die Anforderungen an eine rechtmäßige Whistleblowing-Handlung zuletzt auch insofern erweitert, als ein Whistleblower sich einen gewissen Überzeugungsgrad hinsichtlich des Wahrheitsgehalts einer Information zu verschaffen hat.

Der Schutz des Art 10 EMRK wird hiernach (nur) solchen Whistleblowern zu Teil, die genaue bzw. richtige und verlässliche Informationen preisgeben. Angesichts des gewichtigen Vorwurfs der aktiven Sterbehilfe war der Beschwerdeführer der Entscheidung des EGMR zu Folge verpflichtet, ihm nach den Umständen mögliche Nachprüfungen anzustellen. Jedoch wendete der OGH bisher ohnehin ähnliche Kriterien wie der EGMR an.

Wie wird Österreich die Whistleblowing-Richtlinie umsetzen?

Der Trend zum besseren Schutz von Hinweisgebern hat sich in der EU auch in der mit 16. Dezember 2021 in Kraftgetretenen Whistleblowing-RL (Richtlinie EU 2019/1937) manifestiert, die grundsätzlich bis spätestens 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt hätte werden müssen. Von den 27 EU-Mitgliedstaaten haben bisher erst eine Handvoll Mitgliedstaaten die Richtlinie in nationale Gesetze gegossen. Ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ist bereits seit27. Jänner 2022 anhängig. Während der uns vorliegende Arbeitsentwurf ein Inkrafttreten mit 1. Jänner 2022 vorsah, dürfte die Umsetzung des neuen "Whistleblowinggesetz – WbG" noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen. Wie Österreich die RL schlussendlich umsetzen wird, ist weiterhin fraglich.

Was regelt die Whistleblowing-Richtlinie?

Die Whistleblowing-RL sieht nun erstmals EU-weite Mindeststandards zum Schutz von Hinweisgebern vor. Der Regelung liegt der Gedanke zugrunde, in Lebensbereichen von besonderem öffentlichen Interesse, die Bereitschaft zu rechtmäßigem Verhalten zu bestärken, indem (zukünftig) für Hinweise auf Rechtsverletzungen einfache Verfahren mit vorhersehbaren Abläufen zur Verfügung stehen.

Wie äußern sich der persönliche & sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie?

Der persönliche Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich der Whistleblowing-RL ist sehr weit gefasst und gilt für all jene Hinweisgeber:innen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Rechtsverletzungen erlangt haben. Dies können sowohl Arbeitnehmer:innen, Praktikant:innen, Bewerber:innen, Leitungs- oder Aufsichtsorgane sowie Lieferanten sein. Schutz genießen sollen jedoch auch Anteilseigner:innen von Rechtsträgern sowie natürliche und juristische Personen aus dem Umkreis der Hinweisgeber:in.

Der sachliche Anwendungsbereich

Der sachliche Anwendungsbereich ist dagegen eng gefasst und auf Verstöße gegen bestimmte zentrale Vorschriften des Unionsrechts beschränkt. Umfasst sein sollen das Öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie die Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit und -konformität, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz, Öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen, als auch Verstöße gegen finanzielle Interessen der Union.

Dem österreichischen Gesetzgeber steht frei, den Anwendungsbereich auch auf nationale Gesetze zu erstrecken. Da dem Hinweisgeber eine Vorabüberprüfung dahingehend, ob es sich um einen Verstoß gegen nationales oder Unionsrechthandelt, wohl nicht zugemutet werden kann, ist einer derartigen Ausweitung des Anwendungsbereichs mit Vorsicht zu begegnen. Nach der Richtlinie sollen Rechtsverstöße innerhalb eines Unternehmens, an die zuständige Behörde oder in letzter Konsequenz auch an die Öffentlichkeit gemeldet werden können. Der Schutz umfasst sowohl Hinweise an interne als auch externe Stellen. Handelt der Hinweisgeber dabei redlich, darf er keinen Repressalien ausgesetzt werden. Es sind daher sämtliche Maßnahmen rechtsunwirksam, die als Vergeltung eines berechtigten Hinweises erfolgt sind.

Der uns vorliegende Arbeitsentwurf zum Whistleblowinggesetz nennt in diesem Zusammenhanginsbesondere die Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen, Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung befristeter Arbeitsverträge, Herabstufung oder Versagung einer Beförderung, Änderungen des Arbeitsortes oder Minderungen des Entgelts, negative Leistungsbeurteilungen oder auch Disziplinarmaßnahmen. Personen, die für erfolgte Vergeltungsmaßnahmen verantwortlich sind, verpflichtet der Gesetzgeber ua zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes und zum Ersatz des erlittenen Vermögensschadens. Die Identität der Hinweisgeber:innen ist durch die internen und externen Stellen jedenfalls zu schützen.

Dies gilt auch für alle Informationen, aus denen die Identität von Hinweisgeber:innen direkt oder indirekt abgeleitet werden kann. Davon abweichend, soll die Identität nur dann offengelegt werden dürfen, wenn dies im Rahmen eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens unerlässlich und in Hinblick auf die Gefährdung der Person der Hinweisgeberin verhältnismäßig ist. Vor Offenlegung ist die Hinweisgeberin aber jedenfalls von diesem Vorhaben zu unterrichten. Hinweisgeber:innen sollen darüber hinaus auch nicht für tatsächliche oder rechtliche Folgen eines berechtigten Hinweises haften.

Wie werden interne Meldesysteme eingerichtet?

Zur Einrichtung interner Meldesysteme werden ua Unternehmen und juristische Personen des öffentliches Rechts mit 50 oder mehr Arbeitnehmer:innen und Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor verpflichtet. Juristische Personen mit weniger als250 Arbeitnehmern haben jedoch bis zum 17. 12. 2023 Zeit, entsprechende Meldekanäle einzurichten. Interne Meldesysteme sind dabei so einzurichten, dass die Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeberin oder Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt. Hinweise müssen der internen Stelle sowohl schriftlich als auch mündlich abgegeben werden können. Auf Ersuchen der Hinweisgeberin hat binnen 14 Tagen auch eine Besprechung des Hinweises stattzufinden.

Die Entgegennahme der Hinweise hat in weiterer Folgeunparteilich und unvoreingenommen zu erfolgen und ist von der internen Stelle auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Spätestens drei Monate nach Entgegennahme des Hinweises hat die interne Stelle bekanntzugeben, welche Folgemaßnahmen beabsichtigt sind oder aus welchen Gründen der Hinweis nicht weiterverfolgt wird. In bestimmten Fällen soll die interne Stelle auch dazu berechtigt sein, die Leitung des Unternehmens über den Eingang der Meldung zu informieren. Beispielsweise dann, wenn sich ein begründeter Verdacht auf Rechtsverletzungen ergibt, die Verständigung dahingehend geeignet erscheint, von künftigen Rechtsverletzungen abzuhalten oder etwa dann, wenn der Hinweisgeber ausdrücklich in die Verständigung einwilligt.

Wie sieht ein klassischer Verfahrensablauf aus?

Hinweisgeber:innen haben diese primär an interne Stellen zu melden. Externe Meldungen sollen nur dann in Fragekommen, wenn die Behandlung im internen Meldesystem nicht möglich, nicht zweckentsprechend oder zumutbar ist oder der Hinweis sich bereits als erfolglos erwiesen hat. Welche (externe) Stelle der Gesetzgeber für Hinweise auf Rechtsverletzungen, die sich auf (private) juristische Personen bezieht, vorsieht, ist nach wie vor offen. Externe Stelle haben Hinweise jedenfalls sorgfältig, vollständig, unparteilich, redlich und vertraulich zu behandeln. Ebenso wie interne Meldungen, müssen auch externe Hinweise sowohl schriftlich als auch mündlich abgegeben werden können und sind jegliche Meldungen auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Abzuwarten bleibt jedoch, ob sich der Gesetzgeber dafür entscheidet, dass zukünftig auch anonym gemeldeten Hinweisen- sei es extern oder intern - nachgegangen werden muss.

Welche Bedeutung hat die Whistleblowing-Richtlinie für das Arbeitsrecht?

Bei der Einrichtung eines internen Whistleblowing-Systems kann es sich nach unserer Auffassung um die Einführung eines Kontrollsystems handeln, das die Menschenwürde berühren könnte. In diesem Zusammenhang sind demnach auch die Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrates zu beachten und der Betriebsvereinbarungsabschluss könnte zwingend erforderlich sein (§ 96 Abs 1 Z 3 ArbVG).

Es ergibt sich die Problematik, dass bei Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats, der Abschluss der Betriebsvereinbarung auch nicht erzwungen werden kann. Dies würde bedeuten, dass ein Unternehmen seinen Pflichten nach der Whistleblowing-RL bzw dem Whistleblowinggesetz nicht nachkommen könnte. Es bleibt also erstmal abzuwarten, ob der Gesetzgeber in diesem Punkt noch nachbessert. Denkbar wäre uE eine Regelung, wonach die fehlende Zustimmung durch eine Behörde ersetzt werden kann. In betriebsratlosen Betrieben muss die Einwilligung hingegen von jeder einzelnen Arbeitnehmerin eingeholt werden (§ 10 Abs 1 AVRAG). Um den Vorgaben des Art 9 der WB-RL zu entsprechen, müssen Meldungen inschriftlicher und/oder mündlicher Form möglich sein.

Meldekanäle müssen zudem so sicher konzipiert und eingerichtet sein, dass auch die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und allfälliger Dritter, die möglicherweise in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt. Meldekanäle sind derart einzurichten, dass nur befugte Personen auf die Meldung Zugriff haben. Bezüglich des Vertrauens der „Benutzer“ ist bei der konkreten Ausgestaltung auch zu berücksichtigen, dass die Meldebereitschaft wesentlich davon abhängt, ob auch anonym gemeldet werden kann und in weiterer Folge auch die Möglichkeit besteht, anonym zu bleiben.

Wie kann die Whistleblowing-Richtlinie in der Praxis umgesetzt werden?

In der bisherigen Compliance-Praxis haben sich, unterschiedliche Varianten von Meldekanälen etabliert (bspw "open-door"-Policy, E-Mail, Briefkästen, digitale Systeme, Telefon-Hotlines und Ombudsmänner), die vor dem Hintergrund des vom österreichischen Gesetzgeber zu erlassenden "Whistleblowinggesetz“ wohl demnächst auch auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen sein werden. Darüber hinaus sind neben den bereits angeschnittenen arbeitsrechtlichen Implikationen auch jene des Datenschutzrechts zu beachten.

Wir stehen Ihnen gerne beratend zur Seite, sollten Sie Unterstützung bei der Implementierung despassenden Meldekanals in Ihrem Unternehmen benötigen!


Siehe auch:

EGMR, 21. 7. 2011 – Nr 28274/08 Heinisch ./. Deutschland