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Whistleblowing im arbeitsrechtlichen Kontext
Mag Julia Berger
Apr 11, 2023
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Die Whistleblowing-Richtlinie (RL 2019/1937) ist 2019 in Kraft getreten. Ziel der Richtlinie ist es, Rahmenbedingungen für Hinweisgeber:innen mit einem hohen Schutzniveau zu gewährleisten. Am 3. Juni 2022 erfolgte die Veröffentlichung des Ministerialentwurfs zur Umsetzung der sogenannten Whistleblowing-Richtline. Am 1. Februar 2023 hat der Nationalrat nun das HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG) – nach einjähriger Verzögerung – beschlossen. Für viele Arbeitgeber:innen stellt sich nunmehr die Frage, welche arbeitsrechtlichen Aspekte das HSchG mit sich bringt.

Anwendungsbereich des HschG

Das HSchG hat einen persönlichen und einen sachlichen Anwendungsbereich. Vor allem aber ist der persönliche Anwendungsbereich aus einem arbeitsrechtlichen Blickwinkel relevant. Das HSchG gilt für Hinweisgeber:innen, die im privaten oder öffentlichen Bereich beruflich tätig sind und in diesem Zusammenhang Informationen über eine Rechtsverletzung erlangt haben. Darunter fallen insbesondere:

·               Arbeitnehmer:innen einschließlich Bedienstete des Rechtsträgers,

·               überlassene Arbeitskräfte;

·               Bewerber:innen,

·               Volontäri:nnen oder Auszubildende,

·               selbständig erwerbstätige Personen (somit Werkvertragsunternehmer:innen),

·               Mitglieder eines Verwaltungs-,Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Rechtsträgers oder indem sie unter der Aufsicht und Leitung eines Auftragnehmers, einer Auftragnehmerin, eines Subunternehmers oder einer Subunternehmerin des Rechtsträgers oder dessen Lieferant:innen arbeiten oder arbeiteten.

Auffallend ist, dass der persönliche Anwendungsbereich des HSchG sehr weit gefasst ist und nicht auf die Position selbst abstellt, sondern ein beruflicher Konnex Voraussetzung ist. Aufgrund der vom Gesetz gewählten Formulierung „insbesondere“ handelt es sich umkeine abschließende Aufzählung. Vom Anwendungsbereich umfasst sind daher ebenfalls unentgeltliche sowie befristete Arbeitsverhältnisse.

Bei dem nun doch sehr weit gefassten persönlichen Anwendungsbereich ist vor allem auch ein Augenmerk auf die aufgenommenen „überlassenen Arbeitskräfte“ zu richten. Im Wesentlichen stellt sich die Frage, in welchem Betrieb – und zwar im Überlasserbetrieb oder im Beschäftigerbetrieb – überlassene Arbeitskräfte ihre Meldung erstatten sollen. Die Überlassung von Arbeitskräften ist nach der Definition des AÜG die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften zur Arbeitsleistung an Dritte.

Der arbeitsvertragliche Dienstgeber des überlassenen Arbeitnehmers wird dabei als Überlasser bezeichnet. Beschäftiger ist, wer die überlassenen Arbeitskräfte zur Arbeitsleistung im eigenen Betrieb einsetzt. Aus der Tatsache, dass es zwei „Dienstgeber“ gibt, folgt eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen. Das Vertragsverhältnis besteht ausschließlich zwischen dem Überlasser (Arbeitgeber:in) und der überlassenen Arbeitskraft. Problematisch erscheint der Umstand, dass die überlassene Arbeitskraft jedoch beim Beschäftigerbetrieb die (vertraglich im Dienstverschaffungsvertrag vereinbarte) Tätigkeit ausübt und sohin ein örtliches „Naheverhältnis“ zum Beschäftiger besteht. Es wäre daher naheliegend, wenn überlassene Arbeitskräfte, Meldungen, die vom sachlichen Anwendungsbereich des HSchG umfasst sind im Beschäftigerbetrieb erstatten.

Dagegen spricht aber die mangelnde arbeitsvertragliche Beziehung zwischen Beschäftiger und Arbeitskraft. Da das HSchG gerade auf den beruflichen Konnex abzielt, wäre sohin die „Meldepflicht“ beim Überlasser konsistent; mE ist aber das zum Beschäftiger bestehende (trotz mangelnder arbeitsvertraglicherBeziehung) Naheverhältnis und der diesem durch das AÜG auferlegten Arbeitgeberpflichten (erwähnt sei bspw die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmung) relevant(er). Das HSchG selbst geht in seinem Anwendungsbereich so weit, dass es bereits Bewerber:innen miteinbezieht, weshalb es mE logische Konsequenz ist, die „Meldemöglichkeit“ der überlassenen Arbeitskraft beim Beschäftiger anzusiedeln.

Meldekanal

Einführung durch Betriebsvereinbarung?

Der Grundgedanke des HSchG ist zwar der Schutzzweck gegenüber Hinweisgeber:innen. Die „Verpflichtung“ zur primären Schaffung von internen Meldekanälen schützt im weiteren Sinne aber auch Arbeitgeber:innen. Durch die Einrichtung der internen Meldekanäle wird vermieden, dass Missstände im Betrieb „in die Außenwelt gelangen“ oder gar reputationsschädigend wirken können. Die Einführung interner Meldekanäle gestaltet sich in der Praxis jedoch als Herausforderung, da sich insbesondere aus arbeitsrechtlicher Sicht die Frage stellt, ob ein spezieller Rechtsakt notwendig ist und – falls ja – welcher. Es gibt bereits Meinungen in der Literatur, die das Instrument der Betriebsvereinbarung ins Spiel bringen. Nach der Richtlinie soll es möglich, aber nicht verpflichtend sein, dass die betrieblichen Sozialpartner bei der Implementierung des internen Meldesystems zusammenwirken. Dabei muss – aufgrund der zweiseitig zwingenden Wirkung - das innerstaatliche Arbeitsverfassungsrecht beachtet werden.

Betriebsvereinbarung iSd §96 Abs 1 Z 3 ArbVG

Eine Lehrmeinung sieht in der Einführung von internen Meldestellen die Einführung einer Kontrollmaßnahme, die dieMenschenwürde berührt (§ 96 Abs 1 Z 3 AbVG).

Folgt man dieser Lehrmeinung, wäre für die Einführung eines Meldekanals eine Betriebsvereinbarung zwingend notwendig. Argumentiert wird mit der ständigen Kontrolle durch Arbeitskolleg:innen. Was bedeutet das für die Praxis? Es handelt sich dabei um zustimmungspflichtige Maßnahmen, dh um solche, die ohne Zustimmung des Betriebsrats (oder der Zustimmung sämtlicher Mitarbeiter:innen) nicht eingeführt werden dürfen. Die Betriebsvereinbarung über die Einführung der Kontrollmaßnahmen kann durch die Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht ersetzt werden. Dem Betriebsrat kommt in diesem Fall ein echtes Vetorecht zu.

Die Notwendigkeit einer notwendigen, nicht erzwingbaren Betriebsvereinbarung geht mE aber zu weit und könnte das HSchG aushebeln. Es kann nämlich nicht Ziel und Zweck des HSchG sein, dass der Betriebsrat als Organ der Arbeitnehmerschaft, die Einführung eines Meldekanalsverhindern kann. Das HSchG sieht umfassende Schutzmaßnahmen zugunsten der vonder Hinweisgebung betroffenen Personen vor, die mE bereits geeignet ist, die Berührung der Menschenwürde auszuschließen.

Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag?

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer:innen einzelvertraglich die Pflicht auferlegt werden darf, Meldungen zuerst an eine interne Stelle zu erstatten. Der Gesetzgeber sieht mE keine Gleichrangigkeit zwischen internen und externen Meldestellen vor. Im Gegenteil: internen Meldekanälen wird der Vorrang eingeräumt. Eine Aufnahme einer Klausel im Arbeitsvertrag, dass Meldungen zwingend an eine interne (und nicht externe) Stelle zu richten sind, ist weder einschränkend, noch widerspricht sie dem Günstigkeitsprinzip, weshalb mE eine solche Verpflichtung zulässig wäre. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die Androhung (und schlussendlich auch Umsetzung) von typischen Vergeltungsmaßnahmen zulässig wäre, wenn Arbeitnehmer:innen entgegen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung Meldungen an externe Meldestellen erstatten.

Vergeltungsmaßnahmen

Durch § 20 HSchG wird das in der Whistleblowing-RL verankerte Verbot von Repressalien geregelt. Demzufolge sollen Maßnahmen, die in Vergeltung eines berechtigten Hinweises erfolgen, rechtsunwirksam sein. Die Bestimmung garantiert dadurch in erster Linie einen umfassenden Schutz für Arbeitnehmer:innen, die einen Verstoß im Sine des Gesetzes melden.

Die Norm enthält im ersten Absatz eine demonstrative Aufzählung von rechtsunwirksamen Vergeltungsmaßnahmen, darunter fallen etwa:

·      Kündigungen, Suspendierungen;

·      die Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung von befristeten Arbeitsverträgen (zB Entlassung);

·      Herabstufung oder Versagung einer Beförderung;

·      Versetzungen, Disziplinarmaßnahmen, usw.

Auch im Falle von Mobbing, Nötigung, Einschüchterung oder Diskriminierung soll der rechtmäßige Zustand, sofern möglich, wiederhergestellt und Schadenersatz geleistet werden.

Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten,sieht § 23 HSchG vor, dass Hinweisgeber:innen in gerichtlichen Verfahren eine Benachteiligung aufgrund der Meldung lediglich glaubhaft machen müssen. Der/Die Arbeitgeber:in muss das Gericht in diesem Fall davon überzeugen, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein anderes Motiv für die jeweilige Maßnahme ausschlaggebend war.

Der österreichische Gesetzgeber geht mit diesem herabgesetzten Beweismaß einen Weg, den man bereits aus Fällen von Diskriminierung bzw Belästigung im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes kennt. Dieser jedoch nicht zur Gänze den Vorgaben der Whistleblowing-RL, welche in Fällen von Benachteiligungen einen Zusammenhang zwischen der Maßnahme und derMeldung vermutet. Das Gesetz scheint daher mE nicht richtlinienkonform umgesetzt worden zu sein. Inwiefern das in künftigen Verfahren aufgegriffen wird, ist abzuwarten.